Mehr Krankheit und Armut

Martinho Borges schildert die aktuelle Lage in Brasilien

Für mich als Brasilianer, der mit einer Deutschen verheiratet ist, ist es immer wieder beeindruckend, die Unterschiede zwischen den Ländern zu erleben, in denen wir uns bewegen. Die derzeitige Corona-Krise zeigt einmal mehr, wie weitreichend diese Unterschiede sind und was sie für das Leben der Menschen bedeuten können. Während Deutschland weltweit das erfolgreichste Beispiel dafür ist, wie Regierung und Gesellschaft zusammenkommen und daran arbeiten können, Leben zu erhalten, erlebt Brasilien einen Sturm, dem alle gleichermaßen ausgesetzt sind. Das Corona-Virus ist gefährlich, insbesondere für Menschen mit Vorerkrankungen und für diejenigen, die keinen Zugang zu einem funktionierenden Gesundheitssystem haben. Brasilien verfügt, gemessen an seiner Bevölkerung, nur über eine geringe Zahl an Krankenhausbetten. Stand heute sind dort 90% der Beatmungsgeräte belegt. Die Zahl der Neuinfektionen steigt und zurzeit (Stand Anfang Juni) verlieren täglich ca. 1000 Menschen ihr Leben. Das öffentliche Gesundheitssystem befindet sich in einer schweren Krise, dasselbe gilt für die Politik. Die Politiker sind sich völlig uneinig darüber, was getan werden sollte: Soziale Isolation bringt das Risiko zunehmender Armut mit sich, die zu mehr Todesfällen führen könnte. Die Fortsetzung des sozialen und wirtschaftlichen Lebens wiederum könnte zunehmende Todesfälle durch das Virus bedeuten, was ebenfalls die Armut vergrößern würde Die Bevölkerung weiß aufgrund dieser Uneinigkeit nicht, wie sie sich verhalten soll. Sie leidet unter den negativen Auswirkungen beider Möglichkeiten. Wer in Quarantäne bleibt und nicht arbeitet, hat schon bald nicht einmal mehr genug Geld für Grundnahrungsmittel. Wer sich nicht an die Quarantäne hält, trägt zur Verbreitung des Virus bei. Heute respektiert Brasilien weder die Quarantäne, noch können die Menschen weiter arbeiten. Damit ist das Schlimmste eingetreten: größere Armut und mehr Krankheit.

Für die Kinder von educare ist die Situation besonders gefährlich, da das größte Risiko, dem sie ausgesetzt sind, gerade in ihrem Zuhause besteht. Meist ist es im Haus selbst oder im Haus der Nachbarn, wo die Kinder Belästigung, Missbrauch, Aggression, Gewalt erleiden und erstmals in Kontakt mit Drogen und Kriminalität kommen. So war es schon vor dem Corona-Virus. Doch jetzt ist es noch schlimmer, denn die gewaltbereiten Angehörigen haben bisher das Haus verlassen, um zu arbeiten oder ihre Verbrechen außerhalb zu begehen, womit sie den Kindern ein wenig Erleichterung verschafften. Aufgrund der Krise sind sie nun den ganzen Tag zu Hause, ohne Geld, verbittert und voller Frustrationen. Ihren Zorn und Überdruss lassen sie an den Schwächsten in der Familie aus.

Brasilien erlebt eine Krise des öffentlichen Gesundheitswesens, eine politische, wirtschaftliche und soziale Krise. Am Ende sind es die Kinder, die am meisten leiden. Ihre Zukunft wird weiterhin zerstört.

 

Es grüßt Sie und wünscht Ihnen alles Gute,

Martinho Borges und Familie.

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